Donnerstag, 25. August 2016

Wer bist du?

Annamartha / pixelio.de
Thay Phap Nhat


Es gibt viele verschiedene Ebenen, auf denen wir die Frage danach beantworten können, wer wir sind. Sprechen wir zuerst über die erste Ebene: Jemand kommt und fragt uns: „Wer bist du?“ Und dann denken wir vielleicht zuerst: „Ich bin dieser Körper.“ Und wenn wir uns in der Psychologie auskennen, werden wir noch weitere Dinge ergänzen: „Ich bin nicht nur dieser Körper. Neben dem Körper habe ich auch Gefühle und Wahrnehmungen.“ Und wenn wir in der Meditation geübt sind, insbesondere in der Achtsamkeitsmeditation, dann können wir unseren Geist in unserem täglichen Leben beobachten. Und dann werden wir sehen: „Ich bin nicht nur der Körper, die Gefühle und die Wahrnehmungen. Ich habe auch Geistesformationen.“ Wenn wir dann noch die Ebene der Philosophie betrachten, dann sehen wir, dass es noch etwas gibt, was zu uns gehört, nämlich das Bewusstsein. Körper, Gefühle, Wahrnehmungen, Geistesformationen und Bewusstsein – das ist also, wer wir sind. Wir können auch eine andere Unterteilung vornehmen. Manche Menschen, die eine spirituelle Praxis ausüben und bereits etwas tiefere Kenntnisse haben, werden uns auf die Frage danach, wer sie sind, die folgende Antwort geben: „Ich bin Körper und Geist.“ Körper und Geist schließen Gefühle, Wahrnehmungen und Geistesformationen mit ein. Ich habe sehr viele Menschen gesehen, die an dieser Stelle stehengeblieben sind und nicht weiter hinterfragen. Sie sagen: „Ich bin Körper und Geist.“ Aber es gibt noch eine weitere Ebene, die tiefer geht als diese Aussage. Für mich ist es wichtig, an diesem Punkt nicht stehenzubleiben. Wir gehen noch ein bisschen weiter, ein bisschen tiefer. Hier können wir nicht mehr definieren oder festlegen, wer wir sind. Es gibt nur die direkte Erfahrung dessen, wer wir sind. Wir könne das nicht auf der Ebene des Denkens erfahren. Es geht über die Kopfebene hinaus. Wie können wir diese Ebene kennenlernen?


Wenn ihr zu jemandem kommt, der Zen praktiziert, und ihm die Frage stellt: „Wer bist du?“, dann wird er antworten: „Ich bin dieser Körper und Geist. Der Körper und der Geist sind eins.“ usw. Aber ich frage diese Person weiter: „Ok, und wer ist hier und jetzt?“ Genau das üben wir auch in der Praxis der Achtsamkeitsmeditation: Im Hier und Jetzt sein. Wir fragen also: „Wer ist im Hier und Jetzt?“ Wenn dieser Körper im Hier und Jetzt ist, und dieser Körper ist unser wahres Selbst, dann müssen wir eingestehen: Dieser Körper kann hier nicht für immer bleiben. Aber unser wahres Zuhause, unser wahres Selbst, ist ewig. Manche Leute antworten schon besser: „Unser Geist ist hier.“ Aber auch unser Geist kann nicht immer hier sein. Dies bedeutet, dass es eine Ebene gibt, die über Körper und Geist hinausgeht. Über diese Ebene wissen wir nicht viel, wir kennen sie nicht gut. Und in dieser Ebene liegt unser ganzes Potenzial; es liegt im Unbekannten. Was wir über uns selbst wissen, ist sehr begrenzt. Wir denken, dass wir uns selber kennen, aber tatsächlich sehen wir nur die Oberfläche dessen, was wir sind. Es ist wie bei einem Eisberg, von dem wir nur jene 5% sehen können, die sich über der Wasseroberfläche befinden. Die anderen 95% befinden sich unter der Oberfläche des Ozeans, und diesen Teil können wir nicht sehen. Als ein Praktizierender müssen wir zu uns selbst zurückkehren, um mehr über uns selbst herauszufinden. So können wir diese 95% dessen, wer wir sind, entdecken. In der westlichen Psychologie nennen wir den oberen Teil unseres Bewusstseins, der 5% ausmacht, das Geistbewusstsein. Darunter liegt das Unterbewusstsein, welches 95% unseres Bewusstseins umfasst. Wenn wir wissen, wie das Geistbewusstsein und das Unterbewusstsein funktionieren, dann verstehen wir die Wirkungsweise unseres Geistes.

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