Dienstag, 29. August 2017

Voll und ganz im gegenwärtigen Moment leben - Dharma-Vortrag vom 26.03.17 (Bremen)


Thay Phap Nhat

Für mich ist es eine sehr schöne Praxis zu akzeptieren was auch immer zu uns kommt. Aber unser Geist erlaubt uns das nicht so einfach, der möchte immer intervenieren. Er sagt uns, wir sollten jetzt dies oder jenes machen. Unser Geist möchte immer wählen können. Besonders wenn wir in einem Dilemma sind und wir nicht entscheiden können, ob dies oder jenes gut ist oder nicht so gut, dann kommen wir oftmals in einen inneren Konflikt. Von diesen inneren Konflikten wird unser Körper und Geist ganz müde und dadurch können viele Krankheiten entstehen. Der Weg da heraus zu kommen besteht darin, nicht herauskommen zu müssen. Wir machen gar nichts. Wir fließen einfach mit dem Leben mit.Was immer passiert, das heißen wir einfach willkommen. Wir sagen: „Hey, schön, dass du da bist. Ich bin glücklich dich willkommen zu heißen.“ Das ist genug.
Das ist der Weg, wie wir aus all unserem Leiden herauskommen können.
Aber wir haben nicht den Mut das zu tun, weil wir immer eine Unsicherheit in uns selbst verspüren.
Wir wissen vielleicht, dass wir an einen bestimmten Ort gehen können und den wunderschönen Sonnenuntergang sehen und genießen könnten, aber wir haben Angst, dass wir auf dem Weg dorthin vielleicht in ein Loch fallen. Und dabei wissen wir ja gar nicht, ob es dort überhaupt ein Loch auf dem Weg gibt. Aber unser Geist kreiert diese Geschichten.
Wir sind so erzogen, dass wir immer Sicherheit wollen, und niemand hat uns beigebracht, dass das Leben immer unsicher ist.
Aber nur in dieser Unsicherheit können wir die Schönheit des Lebens entdecken. Nur in der Unsicherheit haben wir eine Chance wirklich zu wachsen. Das Leben ist wirklich ein Abenteuer. Und um das Geheimnis des Lebens zu verstehen, müssen wir einfach nur in diesem Abenteuer sein.


Ich habe jahrelang im EIAB (Europäisches Institut für Angewandten Buddhismus, in Waldbröl, Deutschland) praktiziert und gelehrt und eines Tages habe ich erkannt, dass es an der Zeit für mich ist, meinen eigenen Weg zu gehen. Zuerst hatte ich überhaupt keinen Plan. Ich wusste nur, dass ich in drei Tagen das Kloster verlassen würde, und dann bin ich auch tatsächlich gegangen. Ich wusste auch nicht, wo ich hingehen und übernachten würde. Aber was ich wusste war, dass ich immer im gegenwärtigen Moment bin. Wenn Dinge kommen, lasse ich sie einfach kommen. Und die Leute um mich herum konnten das überhaupt nicht verstehen. In meinem letzten Seminar habe ich all meine lieben Freunde eingeladen um mich zu verabschieden und alle haben mich gefragt: „Wo gehst du hin und was willst du machen?“ und ich habe immer nur mit vier Worten geantwortet: „Ich weiß es nicht“. Ich weiß es tatsächlich nicht, aber ich weiß, dass es gutgehen wird. Und es funktioniert wirklich sehr gut. Nach einem Jahr hatte ich ein Zentrum in Vietnam aufgebaut, und gerade bin ich dabei ein Zentrum in Finsterwalde, Deutschland aufzubauen. Jetzt gab es schon ein paar kleine Seminare für Vietnamesen und für Deutsche, und bisher ist es sehr gut gelaufen. Zuerst hatten wir noch kein Wasser, aber jetzt gibt es Wasser. Und das Essen ist sehr gut dort. Es gibt liebe Menschen dort, die sehr gut kochen können. Ihr seid alle sehr herzlich willkommen in meinem Zentrum. Aber was ich eigentlich damit sagen möchte, ist: Habt keine Angst vor Unsicherheit. Habt einfach gar keine Angst vor irgendetwas. Was wir machen müssen ist nur, unser Leben voll und ganz zu leben.

Wir brauchen nicht nach den Dingen zu suchen, die wir uns wünschen, sondern wir lassen die Dinge zu uns kommen. Das ist das Geheimnis des Lebens. Aber es gibt nicht viele Menschen, die dieses Geheimnis kennen und es auch wirklich leben können, weil unser Geist immer die Tendenz hat an die Vergangenheit zu denken. Die ganze Vergangenheit kommt immer wieder in unseren Geist. Und wenn wir gerade einmal nicht an die Vergangenheit denken, dann denken wir sofort an die Zukunft. Wenn zum Beispiel jemand ein Seminar organisiert, dann fragt er sich häufig, ob alle Teilnehmer denn auch kommen, und viele andere Fragen mehr. Unser Geist ist immer beschäftigt. Selbst wenn wir hier sitzen und gemeinsam einen Achtsamkeitstag veranstalten, haben wir immer noch Sorgen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kreieren unser Leben. Aber das Leben ist nur im gegenwärtigen Moment. Wir leben unser Leben nicht voll im gegenwärtigen Moment. Wir denken immer nur an die Vergangenheit, Zukunft oder Sorgen, und wenn wir dann 90 Jahre alt sind, dann haben wir wahrscheinlich keinen einzigen Tag wirklich vollkommen gelebt. Wir wollen vielleicht manche Dinge. Wir wollen dies und das haben oder werden, aber wir werden es nie bekommen bzw. erreichen. Aber wenn wir im Hier und Jetzt glücklich sein können, dann brauchen wir kein anderes Glück in der Zukunft. Wenn wir vollkommen im gegenwärtigen Moment leben, dann können wir über Gut und Böse, Tag und Nacht, Warm und Kalt hinausgelangen und wir fallen hinein in einen Raum, den wir „Wahre Leerheit“ nennen.

Der gegenwärtige Moment ist ein ewiger Moment. Aber wir alle wissen das nicht, weil wir nicht wirklich vollkommen in diesem Moment leben. Wenn wir wirklich vollkommen in diesem gegenwärtigen Moment leben, dann wird unsere Liebe aus uns herauskommen und wachsen. Alle spirituellen Meister auf der Welt haben einen Ort, an den sie immer zurückkehren: das ist dieser Moment. Der Buddha zum Beispiel und auch Jesus Christus und alle anderen Erleuchteten. Und weil sie so tief in diesem Moment leben, ist ihre Liebe sehr groß und weit, und diese Liebe kann alles umarmen, die ganze Welt; sie schließt auch Gut und Schlecht mit ein. Und wir alle haben die Kapazität dazu, in diesem gegenwärtigen Moment zu leben. Jeder hat diese Möglichkeit. Aber wir holen diese Kapazität nicht aus uns hervor und benutzen sie. Manche Menschen wissen auch gar nicht, dass wir diese Kapazität überhaupt haben. Im Buddhismus nennen wir diese Kapazität die „Buddha -Natur“. Jedes Lebewesen hat diese Buddha-Natur in sich. Und wenn ihr einmal diese Buddha-Natur in euch entdeckt habt, dann werden von da an eure Fähigkeit im gegenwärtigen Moment zu leben, eure Liebe und euer Verstehen immer größer werden. Und ihr alle werdet zu freien Personen. Jeder von euch wird zu einem Buddha. Aber ihr werdet nicht Buddha Gautama, sondern der eigene Buddha eurer Person. Wir brauchen nur wir selbst zu sein. Wenn wir vollkommen wir selbst sind, dann sind wir in diesem Moment Buddha. Wir sollten nicht versuchen Buddha zu werden wie der Buddha, sondern wir werden einfach wir selbst. Und wenn wir wir selbst sind, dann sind wir Buddha. Viele Buddhisten wollen wie der Buddha werden, aber sie wollen nicht sie selbst sein. Deshalb gibt es auf der Welt viele Buddhisten, aber nicht viele Buddhas. Wenn wir diesen Kern verstehen, dann können wir alle Religionen auf dieser Welt verstehen. Alle Religionen zeigen auf dieselbe Sache, aber sie benutzen unterschiedliche Namen. Wenn wir das verstehen, werden wir tolerant sein. Im Buddhismus nennen wir es die Buddha-Natur. Im Christentum nennen wir es „Gott der Vater“. Im Hinduismus wird es „Brahma“ genannt. Im Taoismus wird es „Tao“ genannt. Dies alles sind unterschiedliche Namen, die auf die gleiche Sache hindeuten. Wenn wir das selber erkennen wollen, dann gibt es dafür nur eine Möglichkeit: Wir müssen voll und ganz im gegenwärtigen Moment leben und unser Leben vollkommen leben. Nicht an die Vergangenheit oder Zukunft denken, sondern voll und ganz im gegenwärtigen Moment leben.

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