Montag, 28. März 2016

Fragen und Antworten aus dem Seminar "Frieden im täglichen Leben"



Frage: Wie kann ich friedvoll sein, wenn ich einer Person gegenüberstehe, die wütend auf mich ist und mich verletzen möchte?

Antwort: Stell dir einen Brunnen vor, aus dem du mit einer Schöpfkelle Wasser entnehmen willst. Wenn in dem Brunnen aber kein Wasser ist, dann kannst du auch keines herausholen. Wenn in unserem Herzen keine Energie der Wut ist, und jemand sagt etwas Unfreundliches zu uns, können wir dann wütend werden? Mit der Energie der Wut verhält es sich genauso wie mit dem Wasser im Brunnen. Die andere Person ist nur eine Art Trigger für die Energie der Wut, die bereits in uns ist.

Wir können aber doch etwas tun, wenn eine andere Person unseren Ärger aufweckt. In der buddhistischen Psychologie sprechen wir von Samen, die in unserem Speicherbewusstsein ruhen. Es gibt dort ganz viele verschiedene Samen. Jeder von uns hat die Samen der Liebe, des Mitgefühls, des Glücks und der Freude. Es gibt in unserem Speicherbewusstsein aber auch die Samen der Traurigkeit, der Wut, der Frustration und der Angst. Wenn wir wissen, wie wir in unserem täglichen Leben die Samen des Glücks und der Freude nähren können, dann werden diese Samen zu großen und starken Bäumen heranwachsen. Wenn wir hingegen die Samen der Frustration, der Wut und der Sorge wässern, dann werden genau diese Samen stärker werden und weiter wachsen. Wenn wir dies klar erkennen, dann können wir zum Wässern die Samen auswählen, die uns glücklich machen.

Alle Personen in unserem Umfeld sind wie ein Spiegel, die reflektieren, was wir in unserem Inneren haben. Wir haben das Recht zu entscheiden, mit welcher Haltung wir einer Situation begegnen wollen. Wenn wir in unserer Praxis noch nicht so stark sind, dann brauchen wir eine Gemeinschaft; wir brauchen Freunde, die nur die guten Samen in unserem Herzen nähren. Wenn wir stärker geworden sind, haben wir genügend innere Ruhe, um mit schwierigen Situationen umzugehen. 



F: Du sagst, es ist nicht möglich im gegenwärtigen Moment zu leiden. Ich verstehe, dass ein Großteil unseres Leidens aus der Vergangenheit kommt. Ich erlebe aber auch oft ein starkes Glücksgefühl, wenn ich mich an glückliche Situationen aus der Vergangenheit erinnere. Ist dieses Glück dann ebenso wenig real?

A: Wir erinnern uns an eine glückliche Situation aus der Vergangenheit und fühlen uns glücklich. Dann denken wir, dass dieses Glück aus der Vergangenheit kommt. Tatsächlich findet doch aber dieses Gefühl des Glücks im gegenwärtigen Moment statt. Mit dem Leiden ist es genauso. Wenn wir uns mit diesen Emotionen identifizieren, dann verlieren wir uns selbst. Dann können wir nicht mehr im Hier und Jetzt sein. Damit wir uns selbst nicht verlieren, müssen wir die Energie der Achtsamkeit und der Bewusstheit entwickeln. Dann erkennen wir klar, was immer in uns passiert, ohne selbst zu verlieren. Wir identifizieren uns nicht mit unserer Emotion, unserer Traurigkeit oder unserer Wut. Je mehr wir zu einem Beobachter werden, desto größer wird die Lücke zwischen uns und der Situation. So entwickeln wir die Fähigkeit selbst zu entscheiden, mit welcher Haltung wir in der Situation handeln wollen.


F: Ist der gegenwärtige Moment frei von Emotionen? Ist da keine Emotionalität in dem, was im gegenwärtigen Moment geschieht?

A: Da ist keine Trennung zwischen der absoluten und der relativen Ebene. Der gegenwärtige Moment schließt die auftauchenden Emotionen mit ein. Wir können im gegenwärtigen Moment beobachten, wie eine starke Emotion aufkommt. Wir wissen, dass sie da ist, und davon verschwindet sie nicht. Weiter können wir beobachten, dass wir aufgrund dieser starken Emotion etwas sagen wollen. In manchen Fällen können wir uns beruhigen und sehen davon ab, etwas zu sagen. Auch dies können wir beobachten. Im gegenwärtigen Moment sind immer der Körper, der Geist und die Umwelt. Eine in uns aufkommende Emotion gehört zum Bereich des Geistes. Während sie aufsteigt, können wir zur gleichen Zeit auch unseren Körper beobachten. Wenn z. B. Ärger in uns aufkommt, dann bemerken wir wie unser Gesicht rot wird, wie unser Herz schneller schlägt, und wie unser Atem kürzer wird. Indem wir dies beobachten, wird sich unser Körper wieder beruhigen. Je mehr wir unsere Emotionen beobachten, desto mehr Erfahrungen sammeln wir im Umgang mit ihnen, und desto besser können wir sie verstehen. Wenn wir unsere Emotion bereits gut kennen, dann wird sie zwar immer noch auftauchen, aber sie wird nicht mehr so stark sein wie zuvor. Noch etwas später erkennen wir dann z. B.: „Wenn ich weiterhin mit dieser Person spreche, dann wird die Emotion wieder aufkommen.“ Aufgrund dieser Erkenntnis werden wir uns rechtzeitig aus der Konversation zurückziehen. Auf diese Weise können wir unsere innere Frische aufrechterhalten. In dieser Praxis des tiefen Schauens brauchen wir Übung. Je mehr wir unsere Emotionen beobachten, desto tiefer können wir sie verstehen. Ich spreche hier nicht nur von der Wut, sondern von allen Arten von Emotionen. Auch die Situationen in unserem Leben können wir immer tiefer verstehen, und dadurch haben wir die Möglichkeit die Richtung für unser Leben selbst zu bestimmen. Unser Geist ist wie ein CD-Player. Wenn in unserem CD-Player eine Musik gespielt wird, die wir nicht mögen, warum wechseln wir dann nicht einfach die CD?


F: Es ist einfach, eine CD zu wechseln oder eine andere Tür zu wählen, aber es ist nicht einfach deine Kinder oder deine Ehefrau zu ändern. Wie können wir unserer Verantwortung unserer Familie gegenüber gerecht werden?

A: Wir können die Situation nicht ändern. Wir können unsere Kinder, unseren Ehemann oder unsere Ehefrau nicht ändern. Aber wir können unsere Haltung der Situation gegenüber ändern. Wir können diese Personen auf eine neue Weise betrachten.

In Vietnam gibt es zwei Jahreszeiten, nämlich Sonnenzeit und Regenzeit. Es gibt eine Geschichte von einer alten Frau, die zwei Töchter hat. Eine Tochter verkauft Schuhe, die andere Tochter verkauft Regenschirme. Die alte Frau weint während des ganzen Jahres. Andere Leute fragen sie, warum sie denn soviel weine, sowohl während der Sonnenzeit als auch während der Regenzeit. Sie erklärt: „Ich habe zwei Töchter. Eine verkauft Schuhe und die andere verkauft Regenschirme. In der Regenzeit kann meine Tochter, die die Schuhe verkauft, nichts verkaufen. Ich habe soviel Mitleid mit ihr, dass ich die ganze Zeit weinen muss. Und in der Sonnenzeit kann meine andere Tochter keine Regenschirme verkaufen. Ich liebe sie sehr und sie tut mir sehr leid, deshalb weine ich auch während der Sonnenzeit.“ Eines Tages kommt ein Zen-Meister an ihrem Wohnort vorbei und davon gehört, dass die alte Frau das ganze Jahr über weint. Er kommt zu ihr und fragt, warum sie so viel weine. Sie antwortet mit der selben Begründung. Der Zen-Meister schlägt ihr eine andere Denkweise vor: „In der Sonnenzeit kann deine Tochter, die die Schuhe verkauft, ganz viele Schuhe verkaufen. Dann kannst du viel an diese Tochter denken und mit ihr glücklich sein. In der Regenzeit kann deine andere Tochter ganz viele Regenschirme verkaufen. Dann kannst du dich mit ihr freuen.“ Seitdem lächelt die alte Frau das ganze Jahr.

Ich möchte mit dieser Geschichte deutlich machen, dass unsere Haltung sehr wichtig ist. Häufig wollen wir die Menschen in unserem Umfeld ändern; das ist eine Tendenz des menschlichen Geistes. Das ist normal, und es ist nichts Falsches daran. Wir können aber stattdessen das Entgegengesetzte tun: In jedem Menschen gibt es etwas Schönes zu entdecken. In den Menschen um uns herum sollten wir besonders diese schönen Dinge betrachten. Wir akzeptieren die Menschen und die Situationen so, wie sie sind. Dann wird sich in einem Moment plötzlich eine neue Tür öffnen. Viele Familien leben jahrelang zusammen, ohne eine Gelegenheit zu haben zusammenzusitzen und sich gegenseitig zu sagen, was sie aneinander schätzen. Es ist eine gute Idee, einen Familientag einzurichten. An diesem Tag kochen und essen wir gemeinsam, und danach erhält jede Person die Gelegenheit den anderen Familienmitgliedern zu sagen, welche guten und schönen Eigenschaften sie in ihnen sieht. Diese Praxis nennen wir „Blumen wässern“, denn unsere guten Eigenschaften sind wie Blumen, die Wasser brauchen damit sie gut wachsen können. Wir werden überrascht sein, wie viel wir durch diese Praxis lernen können. Wir können viele Dinge in unseren geliebten Menschen entdecken, die wir bisher gar nicht bewusst betrachtet haben, und wir haben die Gelegenheit zu erfahren, was die anderen Familienmitglieder in uns selber sehen. Es ist auch möglich, einen Brief zu schreiben. Wir schreiben all die schönen Dinge auf, die wir in der Person sehen, die wir lieben. Solch einen Brief ist wahrhaftig ein Liebesbrief. Die andere Person wird überrascht sein zu sehen, dass wir so viele guten Eigenschaften in ihnen entdeckt haben. Vielleicht hat unsere Tochter oder unser Sohn vorher den Eindruck gehabt, dass wir sie nicht wirklich lieben. Es können viele falsche Wahrnehmungen auftauchen in einer Eltern-Kind-Beziehung, und diese falschen Wahrnehmungen können durch die Praxis des Blumen-Wässerns entfernt werden. Auf diese Weise haben wir die Chance, in der Beziehung zu unseren Geliebten neu zu beginnen. Diese Art der Praxis kann in der Familie angewandt werden, aber auch in der Schule oder am Arbeitsplatz. Der Mensch ist eine Art soziales Tier; er muss mit anderen Menschen zusammen leben. Nur ganz wenige Menschen leben als Mönch allein in einer Höhle im Himalaya, um dort Meditation zu praktizieren. Wenn wir glückliche Beziehungen zu unseren Mitmenschen haben, dann werden wir ein glückliches Leben haben. Eine glückliche Beziehung ist etwas, das wir aufbauen und kultivieren können. Es ist sehr gut, wenn wir eine Sangha aufbauen können, eine Praxis-Gemeinschaft mit anderen Menschen. Wir laden Menschen ein, die in dieselbe Richtung gehen wollen, die gerne Geh- und Sitzmeditation miteinander praktizieren wollen. In der Sangha teilen wir positive Dinge miteinander und wässern uns gegenseitig die guten Samen in unserem Bewusstsein. Dadurch wird unser Leben sich verändern. Es ist wichtig, dass wir eine glückliche Atmosphäre in unserem Umfeld schaffen. Dafür brauchen wir Verstehen und Liebe, denn ohne Verstehen gibt es keine Liebe.


F: Ich verstehe, dass die Ursache des Leidens in unserem Geist liegt und in unserer Haltung im Leben. Daran müssen wir arbeiten. Aber manchmal müssen wir Entscheidungen treffen, es gibt Umstände in unserem Leben die wir ändern können. Wie weiß ich, wann ich eine Situation ändern sollte, wann sollte ich mich dazu entscheiden? Oder ist es immer richtig, sich nur um den Geist zu kümmern und alle äußeren Umstände so zu belassen, wie sie sind? Ich habe das Gefühl, dass man manchmal seine Lebenssituation ändern sollte, z. B. den Arbeitsplatz wechseln o. Ä.

A: Wir denken, dass wir unsere Nahrung nur über das Essen zu uns nehmen. Doch unsere Nahrung besteht nicht nur aus dem Essen. Wir nehmen auch zu uns, was wir hören, was wir sehen. Auch die Umgebung um uns herum ist eine Art Nahrung für uns. Manchmal müssen wir in unserem Leben eine Entscheidung treffen. Wenn es für dich an der Zeit ist, dann triff die Entscheidung einfach. Denn wenn wir die Entscheidung nicht treffen, dann werden wir trotzdem noch daran denken, und dadurch wird unser Geist viele Geschichten und Konflikte kreieren. Wir können die Entscheidung einfach treffen. Wenn es eine gute Entscheidung war, dann werden wir dies später bemerken. Wenn wir feststellen, dass die Entscheidung nicht gut war, dann treffen wir einfach eine neue Entscheidung.

Allerdings gibt es ein grundlegendes Kriterium, das wir als Entscheidungshilfe nutzen können. Wir wählen eine Entscheidung, die uns selbst und unseren Mitmenschen keinen Schaden zufügt. Wenn die Entscheidung diese Kriterien erfüllt, dann wird es eine gute Entscheidung sein. Tatsächlich treffen wir in unserem täglichen Leben ständig Entscheidungen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Wenn wir morgens aufwachen und beide Füße auf den Boden setzen, dann entscheiden wir, mit welchem Fuß wir zuerst losgehen. Beim Essen entscheiden wir, welche der Speisen auf unserem Teller wir zuerst zu uns nehmen. Diese kleinen Entscheidungen treffen wir nebenbei, sie passieren einfach. Wenn wir aber tief schauen, dann können wir erkennen, dass hinter all diesen kleinen Entscheidungen ein Grund liegt. Durch Beobachten dieser kleinen Entscheidungen können wir lernen, dass es gut funktioniert wenn man Entscheidungen spontan trifft, denn all diese kleinen Entscheidungen werden ja spontan, ohne großes Abwägen, gefällt. Wir leben in einem Abenteuer.

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